(K)ein guter Plan

 

 

 

Der Kurzkrimi in ganzer Länge:

 

 

(K)ein guter Plan

 

„Ein Penner?“ Kommissar Joachim Baumgarten runzelte die Stirn. „Kann ich gar nicht glauben, wenn ich ihn mir so ansehe.“

„Doch doch“, bekräftigte Lutz Seifert, sein Kollege und Freund. „Ich weiß es ganz genau, denn ich kenne ihn. Besser gesagt, ich kannte ihn vom Sehen. Bin ihm das letzte halbe Jahr fast täglich am Bahnhof begegnet, wenn ich mit dem Zug ankam oder nach Feierabend nach Hause wollte. Hab ihm ab und an mal die eine oder andere Münze zugesteckt, damit er sich ’nen Kaffee kauft oder was zum Essen. Ich geh aber mal davon aus, dass er sich lieber was zum schlucken dafür geholt hat.“ Er stockte für einen Moment. „Muss vor Jahren eine bessere Zeit gehabt haben“, fuhr er sinnend fort, derweil er das abgebildete Männergesicht betrachtete, welches von einem traurigen Leben gezeichnet war. „Zumindest meine ich mich erinnern zu können, dass er mal erwähnt hat, dass er nicht immer ein Bettler und Wanderer, sondern im Gegenteil ein reicher Mann gewesen sei. Na ja, wie auch immer. Kann sein, dass er einfach nur auf meine Tränendrüsen hat drücken wollen, damit ich mehr herausrücke. Ist aber auch durchaus möglich, dass er die Wahrheit gesagt hat. Hatte nämlich eine sehr gewählte Ausdrucksweise an sich, was bei den Straßenleuten ziemlich selten anzutreffen ist.“

„Also ein Obdachloser“, wiederholte Joachim, wobei er die Liste der Dinge in Augenschein nahm, die bei und an dem Toten gefunden worden waren. „Einer, der momentan zwar keinen einzigen Cent sein eigen nennt, der aber einen sündhaft teuren Anzug samt dazu passender Wäsche trägt, und der Markenschuhe an den Füßen hat, die auch ein kleines Vermögen wert sein dürften.“

„Vielleicht sind ihm die Sachen geschenkt worden“, bot Lutz eine Erklärung an. „Könnte natürlich auch sein, dass er sich aus ’nem Kleiderspende-Sack, oder im Bekleidungsdepot der Caritas bedient hat.“

„Ja klar.“ Joachim tippte sich vielsagend an die Stirn. „Da lässt man einen Designeranzug einfach so lange herum hängen, bis ein Tippelbruder kommt, der sich endlich dazu herablässt, ihn anzuziehen. Und der Zufall will es außerdem, dass es da auch dazu passende Schuhe gibt, die außerdem auch noch seine Größe haben. Sonst noch was Schlaues auf Lager?“

„War ja nur mal laut nachgedacht“, wehrte sich Lutz mit bewusst beleidigter Miene. „Aber du hast schon Recht“, gab er zu, wobei sich sein Gesicht zusehends zu einem breiten Grinsen verzog, was deutlich machte, dass er sich keineswegs angegriffen fühlte. „Sein Outfit ist für einen armen Schlucker wirklich sehr unpassend. Also sollten wir vielleicht erst einmal herausfinden, woher die Klamotten stammen. Möglicherweise erfahren wir dann auch, wo er die letzten beiden Wochen gesteckt hat. So lange habe ich ihn nämlich nicht mehr gesehen, verstehst du!“

Noch einmal das Foto betrachtend, nickte Joachim bloß, legte dann die Aufnahme zu den übrigen Unterlagen, und wandte sich schließlich zum Gehen.

„Sobald du was Neues erfährst, ruf mich an“, verlangte er schon an der Tür. „Ich muss jetzt erst mal in den Supermarkt.“ Eigentlich begann sein Dienst erst am nächsten Morgen. Dennoch hatte er nicht widerstehen können, auf einen Sprung im Büro vorbei zu sehen, auch wenn er von seiner Frau eindeutig andere Order hatte. Sie waren am Vormittag aus einem zweiwöchigen Winterurlaub zurückgekehrt. Karla packte momentan die Koffer aus und er sollte derweil ein paar Lebensmittel einkaufen. Als er jedoch am Polizeigebäude vorbeigekommen war, hatte ihn eine Art Heimweh gepackt, so dass er kurz entschlossen einen Zwischenstopp eingelegt hatte, und so ein wenig vorzeitig von dem neuen Fall erfuhr, den es zu lösen galt. Doch nun hatte er es eilig wieder weg zu kommen.

 

*

 

Was oder wen genau er suchte, hätte Joachim nicht näher erläutern können, als er am nächsten Tag um und durch das Bahnhofsgebäude streifte. Dennoch war er sich sicher, dass er hier absolut richtig war, wollte er etwas über den Toten erfahren, der am Montagmorgen rein zufällig von einem Jogger entdeckt und aus der eisigen Lahn gezogen worden war. Kein Mensch war so allein auf der Welt, als dass er nicht von irgendjemandem vermisst wurde – schon gar nicht ein Obdachloser! Die Straßenleute kannten sich untereinander zwar nur flüchtig, doch registrierten sie relativ schnell, ob einer von ihnen nicht mehr da war, oder ob ein Neuankömmling in ihrem Revier weilte.

Langsam einen Fuß vor den anderen setzend, schaute er sich unauffällig nach den Leuten um, die hier täglich herumlungerten, und auf eine Gelegenheit zum Geld verdienen warteten: Die einen hofften unverdrossen auf die Freigebigkeit ihrer Mitmenschen, einige andere nahmen sich einfach, was sie begehrten, und wieder andere verkauften ihren Körper oder Drogen, um zu Geld zu kommen. Es waren auch für ihn viele bekannte Gesichter, die ihm da resigniert und erschreckt zugleich entgegen sahen, denn sie waren mittlerweile alle aktenkundig geworden, so dass nicht nur ihre Personalien, sondern auch ihre Fingerabdrücke im Kriminalregister zu finden waren. Lutz hatte den Toten bereits in die richtige Gesellschaftsschicht eingeordnet, erinnerte sich Joachim. Aber die eigentlich Identität des Mannes, sowie dessen besondere Merkmale, hatte erst der Computer ausgespuckt. Nein, Walter Strobel war nicht wirklich kriminell gewesen – er war bloß mit aufgegriffen worden, während man vor ein paar Monaten eine Gruppe von Taschendieben gestellt hatte. Als sich schließlich herausstellte, dass er mit den Räubern absolut nichts zu tun hatte, waren seine Daten längst registriert und abgespeichert. Und allein deshalb war er innerhalb weniger Stunden identifiziert worden, denn er trug zum Zeitpunkt seines Todes weder einen Ausweis, noch irgendetwas anderes bei sich, was Aufschluss über seine Person hätte geben können. Er stammte gebürtig aus Aachen, war eins fünfundsiebzig groß, hatte graue Augen und dunkelbraunes Haar, war vierundfünfzig Jahre alt, völlig mittellos und ohne festen Wohnsitz, und offenbar ohne jeglichen Anhang. Aber wo und bei wem war er die letzten beiden Wochen gewesen? Vor allem aber, woher stammten die Sachen, die er zuletzt am Leibe getragen hatte?

„Haben Sie Walter Strobel gekannt?“ Hätte sie einen vernünftigen Haarschnitt gehabt und ordentliche Kleidung besessen, die Frau hätte durchaus recht hübsch aussehen können. Sie war im Register unter dem Namen Tanja Bose eingetragen, war angeblich fünfundzwanzig Jahre alt, seit mehr als drei Jahren „auf der Durchreise“, und ihm jetzt nur per Zufall vor die Füße geraten. Da er aber ohnehin keinen festen Plan hatte, nach welchem er vorgehen wollte, fragte Joachim einfach ins Blaue hinein. „War die letzten sechs Monate eigentlich immer hier anzutreffen“, erklärte er im freundlichen Plauderton, um seinem Gegenüber den Schrecken über die unverhoffte Ansprache zu nehmen.

„Der... Was...“ Sie schluckte sichtlich. „Ist ihm was passiert? Ja?“

„Haben Sie ihn gekannt?“, wiederholte er, ohne auf ihre Frage einzugehen.

„Ich... Ja. Ich...“ Wieder schluckte sie, kramte dann ein zerknautschtes Päckchen Zigaretten hervor, und zündete sich anschließend einen Glimmstängel an, bevor sie ihr Gegenüber von Kopf bis Fuß musterte. „Sie sind ein Bul..., äh, ich meine, Sie sind doch von der Polizei?“

„Ja, das bin ich“, gab er zu, indem er den Qualm, den sie in seine Richtung blies, mit einer unbewussten Winkbewegung abwehrte.

„Sie haben ihn gefunden? Ich meine – Walter?“, fragte sie interessiert.

„Haben wir“, erwiderte er knapp. „Also was ist? Kannten Sie ihn?“

„Es ist ihm was passiert, ja?“ Es war mehr eine Feststellung, denn eine Frage, so dass sie gar nicht erst auf eine Antwort wartete. „Ich hab’s ja gleich gewusst, wissen Sie. Als er davon anfing, dass er in spätestens vier Wochen genug Geld haben würde, um sich eine eigene Wohnung zu nehmen, in die ich mit einziehen sollte, hab ich gedacht, er schneidet bloß auf, damit er mich auf die Matratze kriegt. Na ja, ich hab... Ach, is’ ja auch egal, verstehen Sie. Ich bin auf ihn reingefallen, weil ich hab glauben wollen, dass er es ernst meint mit mir. Aber dann hab ich gesehen, wie er als Unsereiner in das Hotel drüben rein und ein paar Tage später als Schickimickiman rausgekommen und in den Luxusschlitten dieser Tussi gestiegen ist, um auf Nimmerwiedersehen zu verschwinden. Na ja, da hab ich endlich kapiert, dass er mich bloß gebraucht hat, um ’ne besonders kalte Nacht zu überstehen, bis er was Besseres findet, und dass ich wohl ziemlich dämlich gewesen bin, als ich mit ihm... Ach was soll’s! Ich hoffe, er schmort in der Hölle, verstehen Sie! Ist mir egal, was mit ihm ist, oder wie’s ihm geht. Soll mich bloß nicht mehr ansprechen! Und seine Sachen schmeiß’ ich auch raus! Ist eh nicht genug Platz im Schließfach, als dass ihn zwei Leute gemeinsam nutzen könnten!“

„Walter Strobel ist tot“, erklärte Joachim, sobald sie schwieg, und hielt sie damit nicht nur auf, als sie davon stürzen wollte, sondern brachte auch eine zutiefst verblüffte Miene auf ihr Gesicht. „Ist letztes Wochenende in den Fluss gefallen und ertrunken.“ Das war der derzeitige Stand seines Wissens, stellte er im Stillen für sich fest. Was die tatsächliche Todesursache gewesen war, würde erst die Obduktion der Leiche ergeben.

„Oh!“ Der Verblüffung folgte Schrecken, der wiederum von tiefer Betroffenheit abgelöst wurde. „Also das hat er wirklich nicht verdient“, stellte sie heiser fest. „Er war zwar ein Hallodri, der selten was anbrennen ließ, und meist unberechenbar, wenn er blau war. Aber tot? Nein, das hab ich ihm nicht gewünscht.“

„Sie haben eine Frau erwähnt. Wissen Sie vielleicht, wer das gewesen ist?“ Selbstverständlich war ihm dieser Hinweis nicht entgangen, so dass er nun Näheres über die Person wissen wollte, die offensichtlich nicht nur ein teures Auto fuhr, sondern auch Herrenbegleitung in erlesener Kleidung schätzte.

„Ne, tut mir Leid. Ich hab die zwei Samstagmittag zusammen wegfahren sehen, verstehen Sie. Aber ich hab keine Ahnung, wer sie ist oder wohin sie wollten. Ist mir in diesem Moment außerdem auch ziemlich egal gewesen.“

Walter hatte also eine Person getroffen, von der er sich eine gewisse Summe erhoffte, schoss es Joachim durch den Kopf. Aber wieso tat er das? Hatte er sich etwa zum Callboy aufgeschwungen, der für seine Dienste reichlich belohnt werden wollte? Oder hatte er bloß eine Erpressung im Sinn gehabt? Und wenn ja, womit wollte er die Frau unter Druck setzen?

„Wie hat sie denn ausgesehen?“, wollte er wissen.

„Wie ’ne Puppe aus ’m Schaufenster“, erwiderte Tanja abfällig. „Blonde Locken bis über die Schultern. Und ein Gesicht, das zugekleistert war mit Schminke. Fand ich richtig ordinär, wie die zurechtgemacht war. Ich meine, ich hab zwar nicht wirklich viel von ihr gesehen, weil sie ja im Wagen saß, als sie Walter aufgelesen hat. Aber...“

„Was war das für ein Auto?“, unterbrach Joachim.

„Keine Ahnung“, erwiderte sie unwirsch. „Irgend so ein Luxusschlitten eben, mit ’nem Stern oder was Ähnlichem vorne an der Motorhaube. Ach ja! Hatte so ’ne komische Lackierung, wissen Sie. Man konnte gar nicht erkennen, welche Farbe es wirklich ist, weil die ständig wechselte, wenn die Sonne drauf schien. Ich denk’ aber, dass es so ’ne Art Grünblau gewesen ist, mit Silbersternen darin.“

„Und das Kennzeichen?“, bohrte er weiter, indem er die vorangegangene Information zunächst nur abspeicherte, ohne weiter darüber nachzudenken.

„Hab ich nicht richtig sehen können.“ Ihre Bereitschaft, Rede und Antwort zu stehen, schien am Ende. „Aber ich meine, es war ein M am Anfang und drei Siebener am Ende gewesen. Und jetzt entschuldigen Sie mich, ja. Ich muss weiter.“

 

Zurück in der Dienststelle

 

„Du wirst es nicht glauben, aber Walter Strobel war tatsächlich mal ein vermögender Mann.“ Lutz strahlte vor Zufriedenheit. „Anfang der Siebziger war er nämlich Schlagersänger, verstehst du, und hat’s sogar bis in die Hitparade geschafft. Na ja, nicht unbedingt auf die ersten Plätze. Trotzdem hat er seine Platten so gut verkauft, dass er davon gut leben konnte.“

„Ist nicht wahr.“ Joachim war in der Tat überrascht, denn er kannte keinen Interpreten dieses Namens – dabei war er von je her ein gut informierte Fan deutschsprachiger Schlager.

„Doch doch!“ Lutz grinste von einem Ohr zum anderen. „Tonibert Frey, alias Walter Strobel, war ein ständiger Gast in Funk und Fernsehen – wenn auch nicht unbedingt als der Superstar. Aber dann ist er plötzlich untergetaucht. Warte mal.“ Die Computerausdrücke durchforstend, die er kreuz und quer über seinen Schreibtisch verteilt hatte, fischte er am Ende einen davon heraus, um ihn Joachim entgegen zu halten. „Da! Das ist ein Auszug aus der Boulevardpresse vom dreißigsten August vierundsiebzig. Da heißt es: Tonibert Frey hat sich nach einem schweren Nervenzusammenbruch vorläufig aus dem Showbusiness zurückgezogen, um wieder zu Kräften zu kommen.“ Ein anderes Blatt aufnehmend, zitierte er sogleich auch aus diesem Text: „Tonibert Frey ist nicht nur von seiner Frau verlassen worden, die er ein paar Monate zuvor Hals über Kopf geheiratet hat, sondern auch hoch verschuldet, bla, bla, muss Wohnung und Wertsachen veräußern, um seine Gläubiger zu befriedigen.“ Die Augenbrauen hoch gezogen, spitzte er die Lippen zu einem unhörbaren Pfiff. „Der gute Walter ist also gestolpert, und am Ende völlig abgerutscht. Und weil es für ihn offenbar keinen Grund zu geben schien, warum er sich wieder aufrappeln sollte, hat er endgültig alles hinter sich gelassen, um als Tippelbruder durch die Lande zu ziehen“, stellte er fest.

„Aber wieso? Ich meine...“ Joachim war sich momentan nicht ganz sicher, was genau er fragen wollte, denn in seinem Kopf kreiste immer noch die Unterhaltung mit Tanja Bose herum. „Wie kamst du denn überhaupt darauf, dass Walter ein Künstler sein könnte?“

„Nicht ich“, wehrte Lutz ab. „Der Computer. Ich hab bloß die vorhandenen Daten unserer Lahnleiche eingegeben und den Rechner suchen lassen. Na ja, irgendwann meldete er mir dann, es gäbe da verschiedene Varianten, die in Frage kämen. Also hab ich die unbrauchbaren für unseren Fall ausgeschlossen, ihn dann weiter recherchieren lassen und am Ende das alles ausgespuckt bekommen.“ Er deutete auf den Papierwust, den er vor sich liegen hatte. „Sind zumeist Zeitungsmeldungen, die mehr oder weniger wohlwollend klingen, und die von der Regenbogenpresse gebracht worden sind. Aber es handelt sich in allen Fällen um unseren Walter Strobel, da bin ich mir absolut sicher. Ich hab’s nämlich nicht nur einmal, sondern gleich mehrfach nachgeprüft.“

„Seine Frau“, murmelte Joachim unkonzentriert. „Was ist mit ihr? Gibt’s da auch Infos? Oder ist sie bloß sein Anhängsel gewesen, das mit ihm in der Versenkung verschwunden ist?“

„Warte mal.“ Zu seiner Rechten lagen fünf Blätter aufeinander, die Lutz nun aufnahm, um sie kurz durchzusehen. „Ja, da steht’s“, stellte er am Ende befriedigt fest. „Tonibert Frey ist nicht mehr zu haben. Myrna King, eine Nachwuchssängerin mit den bürgerlichen Namen Miriam Bauer, ist dem smarten Tonibert während einer Magicshow in Las Vegas begegnet und hat sein Herz im Sturm erobert, so dass er sie vom Fleck weg heiratete.“

„Und? Was noch?“, wollte Joachim wissen.

„Nix“, erwiderte Lutz die Achseln zuckend, derweil er die restlichen Seiten prüfte. „Sie schien nicht wirklich interessant für die Presse, außer dass sie ein hübsches Modepüppchen war, das zuhauf wertvollen Schmuck und andere teure Geschenke von ihrem Göttergatten bekam. Selbst ihr Verschwinden ist nur mit einer kurzen Notiz bedacht worden, während man Walters Zusammenbruch in allen Einzelheiten durchgehechelt hat.“

„Aber sie muss doch irgendwo abgeblieben sein“, stellte Joachim ungläubig dreinschauend fest. „Niemand verschwindet einfach so, ohne irgendeine Spur zu hinterlassen.“

„Nein, da hast du sicher Recht“, musste Lutz ihm beipflichten. „Und jetzt, wo du es sagst, kommt’s mir auch sehr komisch vor, dass sie tatsächlich unauffindbar scheint. Aber sowas gibt’s nicht. Was auch immer aus ihr geworden ist – es muss einen Nachweis dafür geben. Scheidungspapiere zum Beispiel. Eine Umzugsmeldung wäre auch nicht schlecht. Oder eine Sterbeurkunde!? Egal was! Hauptsache, wir erfahren, wo sie letztendlich abgeblieben ist!“

„Okay. Kümmer’ du dich darum. Ich forsche unterdessen nach, wer hier in der Stadt einen dicken Benz fährt, der eine außergewöhnliche Lackierung und das Münchner Kennzeichen mit drei Siebenen hat.“

„Grünblau?“, rief Lutz ihm hinterher.

„Ja!“ Joachim blieb unvermittelt stehen und sah den Freund über die Schulter hinweg verblüfft an. „Woher weißt du?“

„Ich bin Hellseher“, ulkte der gutgelaunt. „Nein, Spaß bei Seite. Ich kenne den Wagen, weil er ein Sondermodell ist, das ausschließlich nach den Wünschen seines Besitzers gefertigt wurde, und das zudem einem Mann gehört, den ich um seinen exquisiten Fuhrpark beneide. Du musst nämlich wissen, dass Alfons Bittermann, der Film- und Theaterregisseur, der zurzeit mit seinem neuesten Stück in der Stadthalle gastiert, ein Vermögen für Autos ausgibt. Besser gesagt, der Kerl kann es sich leisten, so mal ganz nebenbei eine viertel Mille für einen Wagen hinzublättern, weil er sozusagen in Geld schwimmt.“

Joachim hatte den Namen schon gehört, konnte momentan jedoch nichts damit anfangen, weil er weder ins Kino noch ins Theater ging.

„Du hast keinen blassen Schimmer, nicht wahr“, stellte Lutz erheitert fest. „Aber das macht nix. Ist nicht wirklich eine Bildungslücke, wenn man Alfons Bittermann nicht kennt, denn er liebt es nicht, im Mittelpunkt des Interesses zu stehen und scheut daher die Öffentlichkeit so gut es eben geht. Das einzig interessante an ihm sind tatsächlich bloß seine Autos und seine Frau – eine wahre Schönheit übrigens, die zudem auch noch eine gute und gefragte Schauspielerinn ist.“

„Und die heißt?“, fragte Joachim plötzlich wie elektrisiert.

„Babette Bittermann“, antwortete Lutz bereitwillig. „Wieso fragst du?“

Myrna, Miriam, Babette! Was wenn alle drei Namen zu ein und derselben Person gehörten? schoss es Joachim in diesem Moment durch den Sinn. Was, wenn Walter und sie sich per purem Zufall über die Füße gelaufen waren, und er spontan beschlossen hätte, dass er nun ein wenig von dem zurück haben wollte, was er vor Jahren an sie verschenkt hatte? Aber womit hätte er sie unter Druck setzen können? Unter normalen Umständen wäre sie ihm in keinster Weise verpflichtete gewesen!? Oder doch? Wem hatte er seine damaligen Schulden zu verdanken? Sich selbst, oder doch einem habgierigen Frauenzimmer, das sich auf seine Kosten ein schönes Leben gemacht hatte, um ihn dann zu verlassen, sobald er nichts mehr besaß?

„Ist das ihr echter oder ihr Künstlername?“, stellte er eine Gegenfrage, doch hatte er kaum zu Ende gesprochen, da registrierte er das verwirrte Mienenspiel seines Gegenübers, und entschied, dass er seinen Kollegen doch besser in seine Gedankengänge einweihen sollte, wollte er auch weiterhin gut und effizient mit ihm zusammen arbeiten. Also gab er alles preis, was er selbst bis dato in Erfahrung gebracht hatte und was ihm daraufhin durch den Kopf gegeistert war.

„Ich kann mich ja mal schlau machen, was die Herkunft der Dame betrifft“, schlug Lutz am Ende vor. „Aber das kann ein bisschen dauern.“

„Macht nichts“, erklärte Joachim, indem er sich erneut auf den Weg zur Tür machte. „Hauptsache du findest überhaupt etwas, was uns weiter helfen kann. Ich geh derweil zu den Leichenfledderern und frag mal nach, was sie herausgefunden haben.“ Es war beileibe nicht so böse gemeint, wie es vielleicht klang. Aber sein Verhältnis zu den Gerichtsmedizinern war eher gespalten. Selbstverständlich sah er ein, dass man in der Tat alles tun musste, um die Wahrheit ans Licht zu bringen. Aber die Tatsache, dass man einem Toten erst dann seine letzte Ruhe zugestand, wenn er praktisch von innen nach außen gestülpt worden war, damit er auch noch das allerletzte seiner Geheimnisse preis gab, verursachte ihm ein flaues Gefühl in der Magengegend.

 

In der Gerichtsmedizin

 

„Der Mann ist definitiv ein Mordopfer“, erklärte Doktor Franz. „Und so wie es aussieht, wollte da jemand ganz sicher gehen, dass er tatsächlich stirbt. Allerdings scheint die vorher sorgfältig geplante Exekution ein wenig aus dem Ruder geraten zu sein, so dass praktisch alles im Chaos endete.“

„Wie meinen Sie das?“ Joachim war sich durchaus bewusst, dass seine Unterbrechung des ärztlichen Vortrages nicht unbedingt freundlich aufgenommen werden würde, wollte die Unterhaltung jedoch nach Möglichkeit ein wenig abkürzen, weil ihn der Geruch, der in der Obduktionshalle festhing, stets an den Rand seiner Selbstbeherrschung brachte.

„In seinem Magen“, fuhr der Mediziner indes in aller Ruhe fort zu erklären, „fanden sich neben ein paar Bissen Gänseleberpastete und Toaste etliches an alkoholischer Flüssigkeit und eine reichliche Menge an Schlafmitteln. Zudem hat er eine Platzwunde und ein Hämatom am Hinterkopf. Desweiteren ist da ein Haarriss in der entsprechenden Schädelplatte, so dass ich davon ausgehen, dass er wohl mit einem stumpfen Gegenstand geschlagen worden ist, bevor er ins Wasser stürzte, wo er letztendlich ertrunken ist. Ja ja, Sie haben richtig verstanden. Das Opfer ist tatsächlich ertrunken. Ich kann allerdings noch nicht exakt bestimmen, wann genau er gestorben ist, weil die derzeit vorherrschende Außentemperatur den körperlichen Verfall so verzögert hat, dass eine hundertprozentige Todeszeitbestimmung etwas länger dauert als üblich. Aber eins ist sicher: Er war noch am Leben, als er in die Lahn fiel, denn seine Lungen sind voller Wasser gewesen. Außerdem hat er sich, meinen Erkenntnissen zufolge, instinktiv festhalten wollen, und sich dabei nicht nur einen Fingernagel abgebrochen, sondern auch ein paar Grashalme abgerissen, die er mit in sein nasses Grab genommen hat.“

„Danke.“ Mehr brachte Joachim nicht zustande, bevor er auf dem Absatz kehrt machte, um anschließend aus dem Institut zu stürmen.

 

Wieder in der Dienststelle

 

„Des Spurensicherung ist aufgrund eines Hinweises ausgerückt und hat an der angegebenen Stelle tatsächlich ein paar Sachen gefunden, die uns vielleicht weiter helfen könnten“, berichtete Lutz kurz vor Dienstschluss. „Aber rate mal, was ich herausgefunden hab!“ Es war ihm anzusehen, dass er hoch zufrieden mit sich war. Entsprechend aufgekratzt gab er sich, während er sein neuestes Wissen weiter gab: „Miriam Strobel, alias Myrna King, ist in der Tat nicht in der Versenkung verschwunden, sondern hat sich in eine private Schauspielakademie eingeschrieben, in der sie sozusagen für ihr neues Leben ausgebildet wurde. Du kriegst hundert Punkte, wenn du mir ihren derzeitigen Namen nennst. Na? Richtig! Miriam Babette Bittermann, wobei ihr zweiter Vorname tatsächlich so lautet! Die Gute hatte das Glück, vor ein paar Jahren an den damals gerade verwitweten Alfons Bittermann zu geraten, der ein wenig Trost und Aufmunterung brauchte, und ist dafür zunächst mit einer Hauptrolle und bald darauf auch mit einem Ehering belohnt worden. Na, was sagst du jetzt? Bin ich gut?“

„Spitze“, erwiderte Joachim anerkennend. „Aber heb deshalb nicht gleich ab. Es hat vielleicht gar nichts zu sagen. Ich kann mir nämlich immer noch keinen Reim darauf machen, womit Walter Strobel seine Ex hätte unter Druck setzen können. Auch wenn sie an seinem Ruin maßgeblich schuld gewesen sein sollte, ist das noch lange kein Grund, warum sie ihn jetzt hätte unterstützen sollen.“

„Aber ich weiß es“, stellte Lutz voller Befriedigung fest. „Guck mal.“ Ein einzelnes Blatt Papier an seinen Kollegen reichend, deutete er zusätzlich mit dem Kinn auf den darauf befindlichen Text. „Also wenn das kein Grund ist, dann fress’ ich ’nen Besen!“

„Wow!“ Joachim hatte nur Sekunden gebraucht, um den Sinn der Worte zu erfassen, und fühlte nun tiefste Befriedigung in sich aufsteigen, weil sein Instinkt ihn nicht getrogen sondern wie immer auf die richtige Fährte geführt hatte. „Ich denke, wir sollten die Dame so bald als möglich besuchen. Was meinst du?“

 

Bei Frau Bittermann

 

„Sie wünschen?“ Dem sorgfältig geschminkten Gesicht der teuer gekleideten Blondine war nicht anzusehen, mit welchen Gedanken oder Gefühlen sie ihren beiden Besuchern entgegen trat.

„Wir kommen wegen der Sache mit Walter Strobel“, erklärte Joachim höflich.

„Wer ist das?“ Ihre Miene wirkte mit einem Mal leicht verwundert, ja, ziemlich verwirrt sogar. „Muss ich den Herrn kennen?“

„Ich denke schon, dass Sie das müssen“, stellte er unbeeindruckt fest. „Wenn ich richtig informiert bin, dann sind Sie doch seine Frau gewesen, nicht wahr.“ Ihre gepflegte Erscheinung auf ein Neues von Kopf bis Fuß musternd, fixierte er am Ende ihr Gesicht, welches nun wieder vollkommen unbewegt wirkte. Dann begann er ohne weitere Umschweife: „Ich verhafte Sie hier und jetzt wegen Mordes an Walter Strobel.“

„Machen Sie sich nicht lächerlich.“ Das lange Haar mit einer ungeduldig anmutenden Kopfbewegung in den Nacken werfend, sah sie ihm offen in die Augen. „Warum, um Himmels willen, sollte ich so etwas tun?“

„Weil er der lebende Beweis dafür war, dass Sie sich strafbar gemacht haben, als Sie Alfons Bittermann heirateten“, erklärte Joachim ruhig.

„Was?“ Ihr amüsiert klingendes Auflachen konnte nicht darüber hinweg täuschen, dass sie nun doch ein wenig betroffen war. „Wie kommen Sie denn auf solch eine Schnapsidee?“

„Sie hatten einen guten Grund, um Walter aus dem Weg zu schaffen“, antwortete er immer noch ruhig, „denn als Sie Alfons Bittermann Ihr Jawort gaben, waren Sie immer noch die Frau von Walter Strobel.“

„Das stimmt nicht. Als ich Alfons‘ Frau wurde, waren Walter und ich längst geschieden“, wehrte sie sich, wobei nun eine kaum wahrnehmbare Röte der Verärgerung ihre Wangen färbte, da durch den letzten Satz ihre vorangegangene Aussage – sie kenne Walter Strobel gar nicht – als bewusste Lüge entlarvt worden war.

„Nein, das waren Sie nicht“, stellte Joachim richtig, „denn Walter hat die entsprechenden Papiere nie unterschrieben. Und Sie haben sich nach dem ersten Versuch auch nicht weiter darum gekümmert, denn er war ja quasi unauffindbar und somit aus der Welt, so dass Sie sich der Bigamie strafbar gemacht haben, als Sie eine zweite Ehe eingingen, ohne dass die erste aufgelöst worden wäre.“ Er registrierte die plötzliche Blässe ihrer Wangen und nickte leicht, so als wolle er sich selbst etwas bestätigen, bevor er fortfuhr: „Vielleicht sind Sie tatsächlich davon ausgegangen, dass es keiner Scheidung mehr bedurfte, als Sie Alfons Bittermanns Frau wurden. Möglicherweise haben Sie angenommen, dass Walter längst unter die Räder geraten war, oder sich mittlerweile totgesoffen hat, und somit kein Problem mehr sein würde. Wie auch immer es gewesen ist – Sie haben sich geirrt. Und diesen Irrtum galt es wieder gut zu machen, damit Ihr Leben so weiterlaufen konnte, wie Sie es sich wünschten. Sie wollten sich nicht erpressen lassen, nicht wahr? Sie wollten nicht auf Walters Forderung eingehen, nur damit er den Mund hielt. Sie fürchteten aber den Skandal, der unweigerlich publik geworden wäre, wenn er sein Wissen kundgetan hätte. Also haben Sie reagiert. So wie ich das sehen, haben Sie ihm zunächst ein paar Brocken hingeworfen, indem Sie ihm das Hotelzimmer und den Zimmerservice bezahlt, und ihn dann gut und teuer eingekleidet haben, um ein wenig Zeit zu gewinnen, bis Ihr Mordplan fertig war. Der Portier kann sich nämlich noch gut daran erinnern, dass Herr Strobel kurz vor seinem Tod Damenbesuch empfing, der sich sehr geheimnisvoll gab! Am Ende haben Sie Walter in seinem Zimmer aufgesucht und haben ihm dabei weiß gemacht, dass Sie eine Wohnung für ihn aufgetan hätten. Und während dieser Unterredung haben Sie ihn so mit Tabletten und Alkohol vollgepumpt, dass er vermutlich kaum mehr auf den Beinen stehen konnte. Anschließend haben Sie ihn in ihren Wagen gepackt und zu einer versteckten Stelle am Flussufer gebracht, wo Sie ihn umziehen wollten, damit er wieder wie ein Penner aussieht, und wo er dann liegen bleiben und einfach erfrieren sollte, während Sie sich ein glaubwürdiges Alibi verschafften, indem Sie auf der Bühne standen, und so von aller Welt gesehen werden konnten. Aber Walter war gar nicht so betäubt, wie er eigentlich sein sollte, denn er war hohe Alkoholmengen gewöhnt. Außerdem reagierte er auf das Schlafmittel entgegen dessen Wirkung, was bedeutet, dass er vermutlich total überdreht war und daher nichts als dummes Zeug im Sinn hatte, so dass Sie bald gezwungen waren, ihn mit anderen Mitteln ruhig zu stellen. Also haben Sie ihm eins übergebraten. Wie schnell hat man einen passenden Stein zur Hand, wenn man sich in der freien Natur aufhält! Dass er daraufhin zurücktaumeln und ins Wasser fallen würde, damit haben Sie nicht gerechnet. Zu ärgerlich, nicht wahr, dass er dann sofort unterging, und Sie nicht mehr an ihn herankamen, um ihm Ihre Geschenke wieder zu nehmen?“

„Sie haben überhaupt keine Beweise“, stellte Babette unbeeindruckt fest. „Was auch immer Sie mir hier vorwerfen – es sind bloß Vermutungen und halbgare Verdächtigungen.“

„Sie wollen Beweise sehen?“ Joachim tat bewusst jovial. „Na gut! Das können Sie haben. Ziehen Sie bitte einen Mantel an und kommen Sie mit. Wir fahren Sie gerne noch einmal zu der Stelle, wo Sie zuletzt mit Walter Strobel gewesen sind, und wo sie unvorsichtiger Weise seine alten Sachen haben liegen lassen. Der Boden war an dem bewussten Nachmittag nämlich nur zum Teil gefroren, so dass nun deutliche Reifenspuren und Fußabdrücke zu erkennen sind. Außerdem sind Sie gesehen worden, als Sie ein wenig zu schnell von dem Feldweg aus auf die Straße auffuhren. Kaum jemand registriert es bewusst, wenn er daran vorbeifährt, aber gegenüber der Einmündung liegt ein kleiner Bauernhof, dessen Besitzer im Winter nichts Besseres zu tun hat, als die Autos auf der Straße zu zählen. Und das hat er auch am siebzehnten Januar getan, und sich dabei sehr gewundert, wieso eine Nobelkarosse mit zwei Menschen darin ohne jeden vernünftigen Grund in die Walachei abbiegt, um etwa fünf Minuten später mit einer einzelnen Person im Innenraum wieder aufzutauchen und in dieselbe Richtung zu fahren, aus der sie zuvor gekommen ist.“

„Was auch immer der Kerl gesehen haben will, mich hat er auf jeden Fall nicht gesehen“, erklärte sie gereizt.

„Das wird die Gegenüberstellung zeigen“, reagierte Joachim gelassen. „Soviel ich weiß, besitzt der gelangweilte Bauer einen Feldstecher. Und wenn ich weiterhin richtig informiert bin, dann benutzt er ihn immer, wenn er die Straße und die Autos darauf beobachtet, weil er nämlich ziemlich schlechte Augen hat.“

Für einen Moment wollte es scheinen, als wolle Babette Bittermann zornig auffahren. Doch nur einen Wimpernschlag später seufzte sie resigniert.

„Es war ein Unfall, der in Folge von Notwehr passiert ist“, behauptete sie nun. „Walter hat mich genötigt, zu dieser Stelle am Fluss zu fahren. Anderenfalls wollte er sofort zur Polizei und Presse gehen, um dort sein Wissen ausplaudern. Also hab ich genau das getan, was er verlangte. Als er jedoch kein Geld sondern mich wollte, und auch nicht vor Gewalt zurückschreckte, um das zu bekommen, was er begehrte, bin ich in Panik geraten und hab mich gewehrt. Und dann ist er... Ich weiß auch nicht... Plötzlich blutete er am Kopf und schwankte hin und her. Und dann... Ich... Als er unterging, dachte ich nur noch an Flucht!“

„Sie waren also in Panik, ja?“ Zum ersten Mal mischte sich Lutz ein.

„Ja!“ Babette Bittermann wirkte nun zutiefst verzweifelt. „Ich war völlig fertig.“

„So fertig, dass sie nur eine Stunde später auf der Bühne stehen konnten, um die bärbeißige Luise zu spielen, die mit ihrem trockenen Humor den gesamten Zuschauerraum zu wahren Lachorgien verleitete?“, hakte er nach.

„Ich... Das ist mein Job“, wisperte sie mit schwacher Stimme. „Auf der Bühne haben private Gefühle und Probleme nichts zu suchen.“

„Wenn ich im Filmgeschäft was zu sagen hätte“, wandte sich Lutz an seinen Kollegen, „dann würde ich die Dame jetzt dringend für einen Oskar empfehlen. Da ich aber nur ein ganz banaler Polizeibeamter bin, werde ich mich jetzt auf meinen eigentlichen Job besinnen und der Lady unsere Armreifen verpassen. Okay?“ Sich wieder der blonden Frau zuwendend, grinste er sie frech an, während er fortfuhr: „Es sei denn, Sie kommen freiwillig mit und ersparen sich den peinlichen Auftritt. Eine Mörderin, die in Handschellen abgeführt wird, hat nämlich weder Format noch Dramatik. Wenn Sie bei Ihrem Abgang allerdings Würde zeigen, wird Ihnen zumindest Ihr Mann dankbar dafür sein. Könnte mir vorstellen, dass er sowieso ziemlich geschockt sein wird, wenn er erfährt, dass seine ach so ehrbare Frau in Wahrheit eine berechnende Kriminelle ist.“

„Es war ein Unfall“, wiederholte sie mit schwacher Stimme.

„Erzählen Sie das dem Richter“, beschied er ihr unbewegt, indem er sie am Arm fasste, um sie aus dem Raum zu dirigieren, derweil Joachim ihnen nachfolgte.

 

© 2004 Katica Fischer